ZU DEN WURZELN

 

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Es geht uns gut. Ja! Es geht uns sehr gut, ausgezeichnet sogar im guten, alten Europa. Ja! Super, nicht wahr?

So dachte auch ich die letzten Jahre, während ich mich in Mitteleuropa, speziell in Deutschland, Frankreich, Monaco und Italien aufhielt. Doch die Bilder und Reportagen der Fernsehsender und übrigen Medien über die Zustände in meinen beiden Heimatländern Rumänien und Griechenland, führten nach und nach zu einigen Denkanstößen, die mich dann in der Folge mit einigen Gleichgesinnten dazu bewogen, Roxanas Herz für Kinder e.V. ins Leben zu rufen.

0022Plötzlich fühlte ich mich in meine Kindertage zurückversetzt und fragte mich, wie es heute noch möglich ist, dass Neugeborene sterben und kleine Kinder hungern. Andere werden auf der Straße ausgesetzt, weil es den Eltern und dem Staat auch heute noch an allem mangelt. Ich dachte plötzlich wieder an meine frühen Jahre zurück, als Familien nicht wussten, ob sie sich am nächsten Tag sattessen konnten. Kinder, die auf Müllhalden herumstreiften, um etwas Verwertbares zu ergattern, anstatt zur Schule zu gehen. Blechbaracken und Hütten aus Müll, ohne fließend Wasser oder Strom. Von medizinischer Versorgung im Fall der Fälle ganz zu schweigen.

Oftmals wurden wir Kinder zum Betteln ausgeschickt. Wenn wir erfolglos zurückkamen, terrorisierte uns der alkoholisierte Vater und schlug uns. Ich wurde oftmals ausgeliehen um Feldarbeit zu leisten. Dann wurde ich wegen meines hübschen Gesichtes anderen Bettlern im Rollstuhl als Köder zugegeben, damit sie beim Betteln einen größeren Erfolg hatten. Weit schlimmer war es aber, dass ich mich an Ampeln vor herannahenden Fahrzeugen mit fremdländischen Kennzeichen aus Italien, Deutschland, Schweiz etc. werfen musste und dann vortäuschte verletzt worden zu sein. Die Fahrer halfen mir dann auf die Beine, und meine Eltern erschienen plötzlich wie aus dem Nichts und „erpressten“ aus dem schockierten Übeltäter ein Schmerzensgeld. Dass ich dabei mehrmals wirklich verletzt worden war, interessierte niemanden.

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Aber es kann immer schlimmer kommen, als man es erwartet. Denn trotz all diesem Einfallsreichtum der Erwachsenen, sich selbst und ihre Brut über Wasser zu halten, ließ sich das Unvermeidliche nicht abwenden. Irgendwann Ende 1989 fiel die Berliner Mauer. Plötzlich konnte man aus dem kommunistischen Block „ausreisen“ und „ausreißen“. Also zog meine Familie los, ließ mich eines schönen Tages einfach zurück. Da ich noch zu klein war, wäre ich ihnen in der neuen Wahl-Heimat wahrscheinlich nur ein Klotz am Bein gewesen.

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In Rumänien, meiner Geburts-Heimat, landete ich dann - wie viele andere ausgesetzte Kinder auch – im Waisenhaus. Das Wort Waisenhaus hat sicherlich nichts mit dem, den meisten von uns guten Europäern, heute geläufigen Term zu tun. Das waren damals bessere Lagerhallen, KZ-ähnliche Institutionen, in denen die Kinder „gehalten“ wurden, wie anderenorts Vieh. Wir hatten wenig zu essen, keine medizinische Versorgung, lernten kaum das ABC. Die Waisenhäuser waren damals überfüllt, man lebte auf engstem Raum zusammen. Man musste den Hunger und die Kälte ertragen und wenn man sich beschwerte, gab es Schläge. Und nicht zu knapp! Zu diesen Zeiten kamen oft deutsche, schweizerische und italienische Besucher ins Waisenhaus. Sie brachten Geschenke, Kleidung und Süßigkeiten mit, schauten sich das eine oder andere Kind an. Dann wurde mit der Hausdirektion debattiert und viele der Kinder verließen das Waisenhaus, um zu ihren neuen „Eltern“ zu ziehen. Oftmals wurde auch ich in die engere Wahl einbezogen und freute mich jedes Mal wahnsinnig darauf, endlich dem Grauen zu entfliehen. Letztendlich war es mir aber nicht vergönnt, neue Eltern und eine neue Heimat zu bekommen. Immer wieder fragte ich mich, warum denn niemand auf der Welt mich haben wollte. Ich musste weiterhin dort ausharren. Irgendwann nach Jahren, kamen wie aus dem Nichts meine leiblichen Eltern und holten mich wieder in ihr Leben. Ich wollte nicht zu ihnen zurück, doch als Minderjährige hatte ich kein Mitspracherecht. Wieder wurde ich zum Betteln gezwungen, musste Feldarbeit leisten und vieles mehr. 0008

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Ein paar Mal wurde der klägliche Versuch gestartet, mich in die Schule zu schicken. Doch wenn man aus einer Blechbaracke – einen besseren Namen verdiente unsere Bleibe damals nicht – verdreckt und ausgehungert in die Schule geht, dazu noch mit einer Plastiktüte vom nächsten Minimarket als Schulranzen in der Hand, wird man sehr schnell ausgegrenzt. Man schämt sich, wird von den „besseren“ Mitschülern beleidigt und ausgelacht. Sehr schnell verliert man die Lust an allem, kehrt wieder in sein angestammtes Milieu zurück und fristet sein trauriges Dasein weiter. Ich hatte wohl - wie alle Kinder dieser Welt – die Schule sehr gemocht. Aber letztendlich hielt ich die Schändungen und Beleidigungen der anderen nicht aus. Vorurteile und Hass können auch bei kleinen Kindern jeglicher Kultur sehr ausgeprägt sein.

Als ich alt genug war, reiste meine Mutter mit mir nach Italien. Als Fünfzehnjährige musste ich in den Lederwerken von Solofra, irgendwo nördlich der süditalienischen Stadt Salerno, hart arbeiten. Wie es meine Mutter, in Zusammenarbeit mit dem für das Personal Verantwortlichen schaffen konnte, eine Minderjährige zu solch einer schweren und gesundheitsschädlichen Arbeit einzustellen, ist mir bis heute ein Rätsel. Es war dann auch nicht verwunderlich, dass ich bald ausgebüchst war. Zurück in Rumänien teilte ich das Los vieler anderer Kinder und schlug mich in Bukarest einige Zeit als Straßenkind durchs Leben. Ich erspare uns hier weitere Details, denn das würde den Rahmen der menschlichen Würde sprengen. Nach einiger Zeit kam meine Familie wieder und nahm mich wieder unter ihre Obhut. Leider! Später ging es nach Griechenland. Dort sollte sich dann mein Schicksal endlich, langsam aber sicher, zum Besseren wenden.

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Heute, zwei Jahrzehnte später, bin auch ich, ein guter satter Europäer. Mit meinem Lebenspartner, der Grieche ist, leben wir im Stuttgarter Raum. Wir haben ein großes Zuhause, einen großen Mercedes und ein angenehmes Leben. Für lange Jahre hatte ich die Erlebnisse meiner Kindheit weit ins Hinterstübchen meines Gehirnes verdrängt. Vielleicht wollte ich auch nur den schlimmen Erinnerungen und Entbehrungen dieser Zeit entrinnen, einfach nur vergessen!

Doch plötzlich fragte ich mich: Darf man vergessen, einfach wegschauen und so tun, als ob es diese Dinge nie gegeben hätte und weiterhin nicht gibt? Wie können solche Zustände im Europa des 21. Jahrhunderts noch möglich sein, grübelte ich, während andere in Saus und Braus leben, teure Autos fahren und Damen - mich eingeschlossen - sich nicht schämen, Handtaschen von Louis Vuitton & Co. zu mehreren tausend Euro pro Stück ihr eigen zu nennen?

Slums, Hunger, Elend, Kinder ohne schulische Ausbildung, Kinderarbeit, Diskriminierung, sexuelle Ausnutzung – wo erwarten wir das? Irgendwo in Afrika, in Asien oder Südamerika. Das sind Dinge, die man ansonsten aus Hollywood-Filmen kennt. Im wahren Leben zumindest weit weg, da wo es uns nicht weiter interessiert und unser Gewissen nicht belastet. Auf jedem Fall nicht hier, fast vor unserer Haustür, im guten, alten Wohlstands-Europa.

Die Eltern meines Lebenspartners zogen Anfang der sechziger Jahre als Gastarbeiter nach Stuttgart. Er wurde dort unter ärmlichen Verhältnissen aufgezogen und weiß wie es ist, als Emigrant in einem fremden Land zu leben. Daher bekundete er ebenfalls Interesse, mich in meinem Vorhaben in Rumänien, sowie bezüglich der Flüchtlingskrise in Griechenland, zu unterstützen.

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Anfangs haben wir zusammen anderen Gruppen und Vereinen, oder auch ganz einfach bedürftigen Menschen, unter die Arme gegriffen. Doch früher oder später wurde uns bewusst, dass unsere Hilfe letztendlich nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein war. Da packte uns dann die Verzweiflung und wir waren nahe daran, alles wieder fallenzulassen.

Doch, darf man Hilfe verweigern, nur weil sie noch so klein ist? Wir besannen uns und nahmen uns vor, unser Vorhaben besser zu organisieren. Im Frühjahr 2021 gründeten wir, zusammen mit einigen Gleichgesinnten, Roxanas Herz für Kinder e.V. um Hilfe für bedürftige Kinder in Rumänien und Griechenland (insbesondere Flüchtlingskinder) zu leisten. Vielleicht ist dies ein wenig egoistisch, doch es war uns klar, dass wir nicht die ganze Welt verändern konnten. Wir allein können nicht allen Kindern auf dieser Welt helfen. Dennoch, jede noch so kleine Hilfe zählt.

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Helfen Sie uns, wenigstens einige Tropfen auf dem heißen Stein zu sein. Wir können nicht die ganze Welt und deren Armut verändern. Dennoch, für einzelne Kinder können wir vieles tun und ihnen eine Perspektive für die Zukunft geben. Wir werden gebraucht, Sie werden gebraucht. Es warten noch viele Projekte auf uns, die wir gemeinsam angehen können. Bitte unterstützen Sie unser Team, denn wir wünschen uns sehr, einige dieser bedürftigen Kinder zu retten, die ansonsten eine ähnlich traurige Kindheit erwartet, wie auch ich sie habe leider ertragen müssen.

Wenn Sie es bisher ausgehalten haben und immer noch meinen Ausführungen folgen, bitte ich Sie: Helfen auch Sie mit. Leisten Sie Hilfe, die ankommt und uns allen, vor allem den Kindern, Mut macht. Jeder von uns, jeder von Ihnen, ist ein weiterer Tropfen auf dem heißen Stein. Unsere Hilfe wird immer dringender benötigt, um armen und notleidenden Kindern eine menschenwürdigere Zukunft und bessere Bildungschancen zu ermöglichen.

Ich bedanke mich im Namen aller Kinder für jeden, der uns dabei unterstützt, auf welche Weise auch immer. Durch Ihre Hilfe wird ein bedürftiges Kind ein klein wenig einer besserer Zukunft entgegensehen können. Wir danken Ihnen von ganzem Herzen!

 

Andreea-Elena Elefterescu        

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Vorstand Roxanas Herz für Kinder e.V.

 

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